Über das Fotografieren von Speisen

Man stelle sich folgende Situation vor: Ich sitze in einem Restaurant und mein Essen wird auf den Tisch gestellt. Anstatt mit dem Essen zu beginnen, schneide ich kleine Stücke aus dem Fleisch, nehme Proben des Gemüses und der Soße und stecke jeweils einen Teil in mehrere Briefumschläge. Diese Briefumschläge sind an meine Freunde und Bekannten adressiert; jedem Brief lege ich einen kleinen Zettel bei, versehen mit den Worten: „Hm, lecker! Schaut her! Das habe ich gerade im Restaurant X serviert bekommen!“ Erst dann fange ich mit dem Essen an.

Wahrscheinlich würde man mich über kurz oder lang wegfangen. Doch so absurd jene Szene anmutet, so gewöhnlich ist sie, in leicht variierter Form, in der heutigen Zeit auf der ganzen Welt zu beobachten: Geradezu reflexartig zücken viele Menschen im Restaurant nach dem Servieren ihr Smartphone, um zunächst ein Foto ihres Essens zu machen und es anschließend mit jenen oder ähnlichen Worten an ihre Freunde und Bekannten zu posten.

Wahrlich, wir leben in seltsamen Zeiten! Als ein Akt der Selbstvergewisserung mit digitalen Mitteln scheinen es immer mehr (vor allem junge) Leute nötig zu haben, sich selbst und alle ihre Lebensumstände zu publizieren, allein mit dem Ziel, sich der eigenen Existenz zu vergewissern und allen Anderen von jener Existenz zu berichten.

Back to Top